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Tanz - Schule fürs Zusammenleben

Fremd und unsicher standen Jugendliche mit und ohne Fluchterfahrung im Sommer 2015 voreinander. Ein „Jugend ins Zentrum!“-Projekt half: Wenn es hohe Sprachbarrieren gibt, kann Tanzen auf emotionale Weise Brücken zwischen Menschen bauen.

Auch nach Dortmund kamen damals zahlreiche unbegleitete minderjährige Geflüchtete. Das Künstlerkollektiv Labor für sensorische Annehmlichkeiten e. V., kurz: Labsa, entschied sich, die Neuankömmlinge aus aller Welt und Dortmunder Jugendliche in künstlerischen Bildungsprojekten zusammenzubringen, auch mit dem Ziel, eventuell aufkeimendem Rassismus entgegenzuwirken.

Die Dortmunder Schauspielerin und Theaterpädagogin Emilia Hagelganz berichtet über die gesellschaftliche Herausforderung und die verbindende Kraft von Kulturaustauschprojekten zwischen Jugendlichen unterschiedlicher Herkunft: „Es ist einfacher, Gefühle und Bedürfnisse in Bewegung und Mimik auszudrücken als mit Worten.“
Das Bündnis aus Labsa e. V., dem Jugendhilfepartner GrünBau e. V. und dem außerschulischen Weiterbildungszentrum Adam’s Corner / Projekt Ankommen e. V. verbindet kontinuierliche künstlerische Workshops und Aufführungen mit pädagogisch-sozialer Unterstützung und Ausbildungsberatung. Am Anfang des tanzpädagogischen Gruppenbildungsprozesses mit gut einem Dutzend Jugendlichen standen intuitive Improvisationen und Maskenspiele. Junge Menschen aus Afghanistan, Eritrea, Syrien, Guinea, Elfenbeinküste und Albanien mit sehr unterschiedlichen Fluchterfahrungen offenbarten ihre Ängste, aber auch Glückserlebnisse und Zukunftsträume.

Durch das gemeinsame Tanzen, Abendessen und die Gespräche jeden Mittwochabend wuchs das Selbstvertrauen der jungen Menschen. Die Proben wurden zum verlässlichen Fixpunkt im schwierigen Alltag sowohl der jungen Geflüchteten als auch der deutschen Jugendlichen, denen es gleichfalls an Anerkennung und Ausbildungsplätzen fehlte. Emilia Hagelganz erläutert zur Atmosphäre des geschützten Lernortes: „Bei uns kann jeder etwas probieren, aber keiner muss perfekt sein. Hier darf man mit einem Lachen scheitern – zum Beispiel an einer schwierigen Ballettposition – und muss sich nicht dafür schämen.“

Von Berührungsangst zu vertrauensvollem Miteinander im A to Z of Dance-Projekt: Yacouba Coulibaly bei den Proben
Von Berührungsangst zu vertrauensvollem Miteinander im A to Z of Dance-Projekt: Yacouba Coulibaly bei den Proben © Betty Schiel

Auch Berührungsängste und Geschlechterrollenkonflikte wurden tanzpädagogisch bearbeitet. Die regelmäßige „Kultur macht stark!“-Projektarbeit machte die Jugendlichen auch souveräner im Umgang mit weniger wohlwollenden Menschen außerhalb ihrer Gruppe. 2017 benannte sich die auf zwei Dutzend Menschen angewachsene Performancegruppe aus Jugendlichen aus unterschiedlichen Kulturen und professionellen Künstlern der Bereiche Film, Bildende und Darstellende Kunst programmatisch um in: Transnationales Ensemble Labsa. Im eigenen Probenraum mit mobilem Herd „fürs Familyfood nach der wöchentlichen Probe“, so Emilia Hagelganz, entwickelte das Ensemble 2019 zwei bundesweit wahrgenommene Mitmachstü>In die einjährige Entwicklung von A to Z of Dance flossen persönliche Erlebnisse, traditionelle Rhythmen und Melodien aus den Herkunftskulturen, aber auch gegenwärtige Lieblingsmusik ein. Tanzexpertinnen und Tanzexperten unterschiedlicher Herkunft vermittelten in 26 Workshops spezifische Choreografien aus ihren Heimatländern, aber auch populäre Tänze breiter Jugend- und Protestbewegungen.

Die regelmäßigen Proben gaben Geborgenheit. Enge und dauerhafte Freundschaften entstanden. Yacouba Coulibaly kam 2015 als 16-Jähriger zu Labsa. Jetzt ist er 21 – und Mentor für den Labsa-Nachwuchs. Emilia Hagelganz freut sich über Yacoubas gute Entwicklung: „Er wurde vom Teilnehmer zu unserem Lehrling. Er hat Abitur gemacht, danach soziale Arbeit studiert. Inzwischen organisiert er mit der Sozialarbeiterin über eine WhatsApp-Gruppe unsere Probentermine.“ Auf Yacouba kann sich die Gruppe verlassen.

„Wie reagiert der eigene Körper auf Rhythmen und Melodien aus einer völlig anderen Kultur? Für die Jugendlichen war das A to Z-Projekt anregend und irritierend zugleich“, erinnert sich Emilia Hagelganz.“ Als Tochter kasachischer Aussiedler brachte sie slawische Kreistänze ins Programm ein. Andere Ensemblemitglieder wünschten sich die hippe Breakdance-Variante Popping, den durch Youtube-Videos weltweit bekannten Coupé Decalé, schlugen klassische Ballett-Figuren oder jamaikanischen Dancehall-Reggae vor. Projektabschluss war im Juli 2019 eine fünf(!)stündige Mittanzveranstaltung, in der Ensemble und Publikum gemeinsam in vielfältige Bewegungskulturen eintauchten.

Im zweiten autobiografischen Stück „Transkultureller Life Art Market“, vollzogen rund 20 Jugendliche kurz vor dem Weihnachtsfest 2019 einen Rollenwechsel von Hilfsempfängern zu Gastgebern. Sie luden das Publikum auf einen begehbaren Marktplatz mit kulturellen Attraktionen aus ihren Herkunftsländern ein: Einer der Jugendlichen lehrte ein traditionelles Murmelspiel aus Afghanistan. Ein Eritreer betete in seiner „Meditationsecke für Herzenswünsche“ mit den Besucherinnen und Besuchern und schrieb deren Bitten in seiner Herkunftssprache Tigrinya auf Lebkuchenherzen. Ein Dritter trat als Bauchtänzer in einer Schwarzlicht-Disco auf – da in sittenstrengen muslimischen Ländern ausschließlich Männer zur Unterhaltung von Männern tanzen dürfen.

Vom Programmpartner Bundesverband Soziokultur e.V. fühlte Labsa sich durch befruchtenden Austausch über Konzepte und „stets geduldige und kompetente Hilfe“ bei Beantragung und Abwicklung der Fördergelder hervorragend unterstützt. Frau Hagelganz fasst zusammen: „Durch diese Projekte ist Labsa von einem Projektträgerverein zu einer kulturellen Bildungsinstitution mit künstlerischem Anspruch geworden – und wir zu einer Gruppe von Menschen, die Verantwortung füreinander tragen.“

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Der Bundesverband Soziokultur e.V. fördert im Rahmen von „Jugend ins Zentrum!“ Projekte, bei denen sich Kinder und Jugendliche aktiv in einer künstlerischen Disziplin erproben und eine eigene Kunstproduktion entwickeln und präsentieren können. Der Bundesverband Sozi-okultur (ehemals Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren e. V.) ist seit 2013 Programm-partner von „Kultur macht stark“ und engagiert sich für Angebote kultureller Bildung für Kinder und Jugendliche mit erschwerten Zugängen zu Bildung, Kunst und Kultur.
Weitere Informationen: jugend-ins-zentrum.de.