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„Wir alle an einem Ort“ – Ein Tanztheaterprojekt sucht nach kreativen Ausdrucksformen für Begegnungen in der Gesellschaft

Wer sind WIR? Was macht ein WIR überhaupt aus? Wo begegnen WIR uns? Aus diesen Fragen entwickelte Tanzpädagogin Judith Forbrich das Kultur-macht-stark-Projekt „Wir alle an einem Ort“.

Jugentliche mit bunten Fahnen
© Florian Klette

Judith Forbrich arbeitet als Tanzpädagogin in Kleinschönach in der Nähe des Bodensees. Die Idee zu einem Tanztheaterprojekt reift in ihr während der Coronapandemie. Diese Zeit empfindet Judith Forbrich als besonders prägend, sowohl für das Entstehen eines Gemeinschaftsgefühls, als auch für seine Abwesenheit. Ein Buch inspiriert sie dabei besonders: „Das kleine Wir“ von Autorin Daniela Kunkel. Darin erkennt sie ihre Fragen wieder: Wie entsteht ein Wir-Gefühl? Was passiert, wenn dieses verlorengeht? Genau wie die Autorin möchte auch Judith Forbrich diese Fragen zusammen mit Kindern und Jugendlichen erarbeiten, in ihrem Fall tänzerisch-kreativ. Zusammen mit Theaterpädagogin Elinor Bender entsteht die Idee zum „Kultur macht stark“-Projekt „Wir alle an einem Ort“.

Ein Projekt, das schnell Kreise zieht

„Ich hatte schon sehr früh eine Art choreographisches Bild im Kopf, denn durch die Pandemie lernten wir, auf Abstand zu gehen, Linien zu respektieren, uns anders miteinander und voneinander wegzubewegen. Das wollte ich unbedingt auf unser Tanztheaterprojekt übertragen“, erklärt Judith Forbrich. Sie arbeitet ein Konzept aus und gewinnt für ihren Verein Kulturort e.V. bald Bündnispartner: die Freie Kunstakademie Überlingen und die Kinder- und Jugendhilfe Linzgau (eine Ganztagsbetreuung). Ihr Antrag auf Förderung in „Kultur macht stark“ wird bewilligt und dann kann es losgehen: Von Anfang Februar bis Ende Juli 2023 begeistern sich zwölf Mädchen zwischen zehn und 16 Jahren für das Projekt und nehmen regelmäßig bis zur Abschlusspräsentation an den wöchentlichen Proben teil. Geprobt wird in einem Raum der Waldorfschule in Überlingen.

Die Definition von WIR

Das Projekt startet zunächst mit Vorstellungsrunden und Kennlernspielen, damit eine Wohlfühlatmosphäre für die weitere Projektarbeit entsteht. Für jede Teilnehmerin ist das WIR etwas sehr persönliches, jede erzählt zu Beginn von eigenen Erfahrungen, schönen wie weniger schönen: von Freundschaften, die entstehen und wieder zerbrechen. Von Begrüßungsritualen oder auch Situationen der Unsicherheit. „Konkret haben wir zum Beispiel mit Schnüren gearbeitet, mit denen wir Nähe und Distanz untereinander sichtbar machen konnten.“ Gemeinsam mit Theaterpädagogin Elinor Bender entstehen auch verschiedene Texte zum Thema. Die beiden Projektleiterinnen beobachten: Gerade ältere Teilnehmerinnen fokussieren sich eher auf Sprache und ihr Erleben; die jüngeren hingegen sind froh über Anleitung zur Bewegung.

Kinder beim Pinsel auswaschen
© Florian Klette

Eine Choreografie entsteht

Berührungen und Körpersprache, Tänze an der Hand, Begrüßung und Verabschiedung im Alltag – all dies wird zu kleinen Choreografien. Beziehungen und ihre Arbeit daran sind die inhaltliche Klammer der verschiedenen Interpretationen. Aber auch der Ort für Begegnung spielt eine Rolle. Schnell wird klar: In einem Innenraum ist es für dieses Projekt zu eng. Ein Außengelände muss her, ein Ort draußen an der frischen Luft mit viel Platz für alle. Den neuen Probenort und späteren Aufführungsort finden die Projektleiterinnen in der Kunsthalle in Kleinschönach, einer Art Künstleratelier mit großem Außengelände. Dort kann die Gruppe in größeren Dimensionen denken, Bilder auf Leinwand malen, Kreidepulver verwenden, um Linien zu zeichnen, Flaggen basteln, die später Bestandteil des Bühnenbilds im Freien werden.

Helfende Hände auf dem Land

„Auch wenn die Kunsthalle kein offizieller Bündnispartner war, haben wir hier wertvolle Hilfe erfahren. Wir konnten uns Werkzeug leihen oder uns bei ganz alltäglichen Dingen unterstützen lassen“, freut sich Judith Forbrich. Da sie selbst als Freiberuflerin gut vernetzt ist, findet sie auch in einer eher ländlichen Gegend Kooperationspartner für ihr Projekt. Sie betont aber, dass die Suche nach geeigneten Partnern und das Aufrechterhalten eines lebendigen Bündnisses gerade auf dem Land eine große Herausforderung ist. Da ist viel Netzwerkarbeit nötig. Aber auch der Förderer des Projekts, Aktion Tanz – Bundesverband Tanz in Bildung und Gesellschaft e.V., sei von Berlin aus immer für alle Fragen und Anliegen unterstützend an ihrer Seite gewesen, so Judith Forbrich weiter. Das Wichtigste sei eine gute Vorarbeit und Recherche, damit ein kulturelles Projekt wie dieses auf dem Land gut gelinge.

Der Tag der Abschlusspräsentation

Nach einem halben Jahr Proben werden im Sommer 2023 die Choreografien und Texte vor Familien und Freunden präsentiert. Alle sind gespannt und voller Vorfreude. Es ist ein schöner Sommertag und die Zuschauerinnen und Zuschauer können selbst einen Platz wählen, mit oder ohne Stuhl, inmitten der Gruppe. Schließlich gehören auch sie zum WIR. Die Teilnehmerinnen tragen Jeans und T-Shirts und zeigen ihre Interpretationen von Gemeinschaft im Alltag. Es gibt ein Buffet, auch die Künstler aus dem Atelier kommen. Für alle ist es auch eine Art Sommerfest und Zusammenkommen. Die Resonanz beim Publikum: Viele sind vor allem überrascht, wie viel die Teilnehmerinnen in einem halben Jahr erarbeitet haben. Was die Teilnehmerinnen aber hauptsächlich gelernt haben, ist das Erleben einer Gruppe, das Entstehen neuer Verbindungen und Freundschaften. Judith Forbrich fasst zusammen: „Für manche ist es die erste Erfahrung mit Tanz und Theater. Sie durften in diesem Projekt herausfinden, was ihnen Spaß macht. Eine Teilnehmerin nimmt in Zukunft auch weiter Schauspielunterricht. Das freut uns sehr.“

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Für das Projekt „Wir alle an einem Ort“ schließen sich die Freie Kunstakademie Überlingen, die Kinder- und Jugendhilfe Linzgau und der Kulturort e.V. als Bündnispartner zusammen. Das Projekt wird im Rahmen von „ChanceTanz“ des Förderers „Aktion Tanz – Bundesverband Tanz in Bildung und Gesellschaft e.V.“ unterstützt.